Ein Gespenst geht um im Vertrieb. Es ist ein Phänomen, das Startups ebenso wie Traditionsbetriebe heimsucht und selbst ehrfahrene Geschäftsführer und Vertriebsleiter verzweifeln lässt. Ein unternehmerisches Risiko, das sich durch keine Versicherung der Welt abdecken lässt.
Folgendes Fallbeispiel ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Ihrem eigenen Unternehmen sind rein zufällig:
„Jetzt gehen wir in die Offensive!“ Helmut Posch ist Eigentümer und Geschäftsführer eines technischen Produktionsbetriebs mit 138 Mitarbeitern, davon 3 Außendienstmitarbeiter. Wie um seine Ansage zu bekräftigen, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wenn wir noch in diesem Quartal einen Außendienstmitarbeiter für Westösterreich einstellen, erreichen wir unser Jahresziel!“. Zustimmendes Gemurmel im Raum. „Herr Eder, welche Bewerber haben wir denn zur Auswahl?“ „Na ja, auf unser Inserat hat sich nur ein einziger Kandidat mit Branchenerfahrung gemeldet: Herr Leitner, aber der hat bisher nur in Konzernen gearbeitet. Wir könnten weitersuchen und...“. Der Chef unterbricht ungeduldig: “Wir haben keine Zeit zu verlieren! Unsere Kunden im Westen sind unbetreut, die Umsätze brechen weg. Ich will dass der neue Vertriebler so bald wie möglich startet. Parallel dazu erweitern wir unser Montageteam um die zusätzlichen Neukundenaufträge zu bewältigen.“
Im Außendienst-Meeting vier Monate später: Unternehmer Posch mustert Herrn Leitner, den neuen Außendienstmitarbeiter für Westösterreich, mit versteinerter Miene: „Sie sind jetzt seit drei Monaten im Gebiet unterwegs und haben noch keinen einzigen Neukunden gewonnen!“ Der zieht überrascht die Augenbrauen hoch. „Da bin ich aber verwundert, dass Sie es so eilig haben, Chef. Gut Ding braucht eben Weile. Erst muss ich doch die Kundendaten qualifizieren und im Internet recherchieren bevor ich mit der Akquise starte.“ Nur mühsam kann Herr Posch den Zorn in seiner Stimme unterdrücken: “Und was ist mit Ihren vielen Kontakten aus der Branche?“ Herr Leitner antwortet zuversichtlich: „Da habe ich einige dicke Fische an der Angel. Bald werden die ersten Großaufträge hereintrudeln“. Posch beißt die Zähne zusammen: „Ich gebe Ihnen noch einmal drei Monate Zeit, aber fangen Sie endlich an zu akquirieren!“
Als nach Ablauf der Frist immer noch keine Aufträge eintroffen sind, bleibt Unternehmer Posch keine andere Wahl als die Reißleine zu ziehen. Herr Leitner wird ebenso wie zwei kürzlich eingestellte Monteure gekündigt. Bei der Quartalsbesprechung herrscht betretenes Schweigen. Frau Mayer, die Controllerin berichtet in gewohnt nüchterner Manier: „Zu den € 80.000,- Personalkosten für Herrn Leitner kommen noch € 20.000,- Einschulungs- und Vertriebskosten. Zeitgleich sind die Bestandskundenumsätze im Gebiet um weitere 23% zurückgegangen. Die Kosten für die Monteure inkl. Transporter sind ebenfalls zu berücksichtigen. Insgesamt ergibt das einen Fehlbetrag von € 185.000,-.“
Als Unternehmer Posch das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst wird, dreht es ihm fast den Magen um. Anstatt des erhofften Aufschwungs liegt das Gebiet West in Trümmern und ein gewaltiger Verlust belastet die ohnehin fragilen Finanzen des Unternehmens. Mitten in der Nacht schreckt er immer wieder sorgenbelastet hoch, und quält sich mit der gleichen Gedankenschleife: „Verdammt, wie konnte ich mich nur dermaßen in diesem Herrn Leitner täuschen? Und warum habe ich nicht früher reagiert?“
Wer als Geschäftsführer oder Vertriebsleiter selbst Fehlbesetzungen im Vertrieb zu verantworten hatte, kennt die unangenehme Antwort: Es ist eben schwer, sich und anderen eine Fehleinschätzung mit fatalen Folgen einzugestehen! Bis zum bösen Erwachen vergehen meist verlustreiche Monate voll trügerischer Hoffnung und Selbstbetrug.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Wenn Sie das Unvermeidliche erkannt haben, fassen Sie sich ein Herz und setzen Sie rasch die notwendigen Konsequenzen um sich und Ihr Unternehmen vor weiterem Schaden zu bewahren.